Dienstag, 9. April 2013

Vorsicht bei Berliner Testamenten

Da meint man, dass man mit einem Testament alles richtig regelt und am Ende kommt doch etwas anderes heraus. Der nachstehende Sachverhalt zeigt, welcher Nachteil aus einem Berliner Testament erwachsen kann, wenn nicht alles bedacht wird.

Ein Ehepaar aus Essen hatte sich in im Jahre 1979 und 1995 errichteten Berliner Testamenten wechselseitig zu Erben eingesetzt und bestimmt, dass ihre vier Töchter Schlusserben nach dem Tode des Letztversterbenden werden sollten. Zugleich hatten sie angeordnet, dass ein Kind, das nach dem Tode des Erstversterbenden den Pflichtteil fordert, auch nach dem Tod des später Versterbenden auf den Pflichtteil beschränkt sein sollte (Pflichtteilsstrafklausel).

Die jüngste Tochter des Ehepaars ist seit ihrer Geburt schwer behindert, lebt in einer Behinderteneinrichtung und steht im Leistungsbezug des klagenden Landschaftsverbandes. Nach dem Tode des Vaters im Jahre 1997 machte der Sozialleistungsträger aus übergegangenem Recht der jüngsten Tochter gegen die überlebende Mutter erfolgreich einen Pflichtteilsanspruch geltend.

Nach diesen "unschönen" Erfahrungen errichtete die überlebende Mutter 1998 ein notarielles Testament, in welchem sie alle vier Töchter zu gleichen Teilen als Erben einsetzte und bezüglich ihrer jüngsten Tochter eine Vorerbschaft anordnete, wobei ihre Schwestern Nacherben sein sollten (sog. Behindertentestament). Hiermit sollte ein weiterer Zugriff des Sozialleistungsträgers auf das Erbe der behinderten Tochter beim Versterben der Mutter verhindert werden.

Doch wenig überraschend verlangte dieser nach dem Tode der Mutter im Jahre 2010, wiederum aus übergegangenem Recht der jüngsten Tochter, von den drei weiteren Schwestern erneut den Pflichtteil. Diesen verweigerten die Schwestern unter Hinweis darauf, dass ihre jüngste Schwester aufgrund des Testaments aus dem Jahre 1998 Vorerbin und deswegen nicht pflichtteilsberechtigt sei.

Vor Gericht scheiteren die Schwestern, der  Sozialleistungsträger gewann.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm (I-10 U 71/12) greift die Pflichtteilsstrafklausel aus den Berliner Testamenten der Eltern (1979 und 1995) auch dann ein, wenn ein Träger der Sozialhilfe aus übergegangenem Recht und nicht das behinderte Kind selbst den Pflichtteil nach dem Tode des Erstverstrebenden verlangt hat. Diesen Testamenten sei nicht zu entnehmen, dass die für den Schlusserbfall angeordnete Miterbenstellung der behinderten Tochter dem Zugriff des Sozialhilfeträgers entzogen sein sollte. Zu Lebzeiten beider Eltern sei kein sog. Behindertentestament errichtet worden.

Die behinderte Tochter sei deswegen infolge des Pflichtteilsverlangens des Sozialleistungsträgers beim Tode des Vaters wirksam enterbt worden.

Hieran hätten die Regelungen des Folgetestaments aus dem Jahre 1998 nichts ändern können. Die Mutter sei nach dem Tod des Vaters an die entgegenstehenden Verfügungen aus den gemeinschaftlichen Testamenten gebunden gewesen und habe nicht mehr anderweitig verfügen können.

Ärgerlich für die Hinterbliebenen, womöglich aber auch für anwaltliche Berater bzw. den Notar.

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