Donnerstag, 4. Dezember 2014

Wenn Ärzte nicht richtig untersuchen

Eine 1954 geborene Frau ließ sich im März 2012 von einer Ärztin als Vertreterin ihrer Hausärztin wegen Beschwerden im Rücken- und Gesäßbereich behandeln. Die Ärztin diagnostizierte Ischiasbeschwerden, verabreichte eine Spritze und verordnete ein Schmerzmittel. Drei Tage später musste die Frau notfallmäßig operiert werden, nachdem bei ihr eine Gewebeentzündung im Gesäßbereich (Entzündung des perirektalen und perianalen Fettgewebes) mit Verdacht auf eine bakterielle Infektionskrankheit der Unterhaut und Faszien (nekrotisierende Fasziitis) diagnostiziert worden war. Dabei wurde ein Teil des Schließmuskels entfernt. In den folgenden Wochen waren fünf Nachoperationen erforderlich.

Die Frau hat gemeint, von der Ärztin unzureichend untersucht worden zu sein. Unter Hinweis auf fortbestehende Wundschmerzen und eine Stuhlinkontinenz sowie hierdurch bedingte psychische Belastungen hat sie Schadensersatz verlangt, unter anderem ein Schmerzensgeld von 25.000 Euro.

Das Schadensersatzbegehren war weitgehend erfolgreich. Nach der Anhörung eines medizinischen Sachverständigen hat das OLG Hamm das bereits vom LG Bochum zuerkannte Schmerzensgeld von 22.000 Euro bestätigt.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist die Ärztin den Ursachen der ihr von der Frau geschilderten Beschwerden nicht ausreichend nachgegangen. Sie hafte deswegen für einen Befunderhebungsfehler. Durch Betasten habe die Ärztin auch die Analregion der Frau untersuchen müssen. Auf ihre Anfangsdiagnose habe sie sich nicht verlassen dürfen, sondern die Möglichkeit von Erkrankungen mit schwerwiegenden Folgen berücksichtigen müssen. Der angehörte medizinische Sachverständige habe bestätigt, dass eine Gewebeentzündung im Gesäßbereich feststellbar gewesen wäre, wenn die Ärztin eine weitere Untersuchung veranlasst hätte. Diese Entzündung stelle einen reaktionspflichtigen Befund dar. Sie nicht zu behandeln, wäre grob fehlerhaft gewesen, so dass der vorangegangene Befunderhebungsfehler eine Beweislastumkehr hinsichtlich der weiteren Entwicklung rechtfertige. Deswegen sei – auch wenn eine Operation als solche nicht zu vermeiden gewesen sei – zu Gunsten der Frau davon auszugehen, dass die erste Operation weniger schwerwiegend ausgefallen wäre, wenn sie drei Tage früher stattgefunden hätte. Möglicherweise wäre dann der Schließmuskel nicht beeinträchtigt und die Frau in vollem Umfang geheilt worden.

Diese Verletzungsfolgen rechtfertigten das zuerkannte Schmerzensgeld.